Arbeitsblätter unter den Bedingungen der Digitalität

„Diejenigen, die Arbeitsblätter und Lösungen ins Internet stellen, sind Verbrecher!“

Eine Aussage, die nicht von mir stammt, sondern auf einer Fortbildungsveranstaltung gefallen ist – so ein Kollege, mit dem ich über das Thema sprach.  Auch wenn mir der Kontext dieser Aussage nicht bekannt ist, so zeigt sie doch klar, dass das Internet von dieser Person in der Hinsicht problematisch gesehen wird: Das Wissensmonopol verschwindet, denn die Antworten stehen im Netz und sind nicht mehr alleine im Kopf des Lehrers.  Zu allem Übel hat ein Schüler dann noch die Antwort im Netz „gescreenshotet“ und über einen Messenger in den Klassenchat gestellt. Die seit vielen Jahren erfolgreich durchgeführte Stunde endet nach wenigen Minuten oder die Hausaufgabe ist schnell erledigt.

Ich arbeite auch mit Arbeitsblättern – nach wie vor! Gebe ich heute ein Arbeitsblatt aus, so muss ich zwangsläufig damit rechnen, dass irgendjemand die Fragen schon gestellt und jemand anderes die Antworten schon in einem der üblichen Schüler- oder Abiturforen gegeben hat. Verbrecher, wenn ich dem obigen Satz folge.

Es dürfte für die meisten Leser nichts Neues sein (und es ist auch zu begrüßen), dass die Schüler im Netz Fragen stellen und nach Antworten suchen. Meistens bekommen sie diese, wenn auch in unterschiedlicher Qualität und Quantität. Genau hier liegt das Potential und ich möchte nachfolgend einen möglichen Weg zum Umgang verdeutlichen (s.u.).

Bevor ich aber darauf eingehe, will ich kurz schildern, wie Schüler über dieses „Problem“ denken.  Ich habe ihnen ein Arbeitsblatt ausgehändigt und darauf hingewiesen, dass die Lösungen im Netz auf zahlreichen Seiten zu finden sind. Überrascht waren sie nicht. Gemeinsam haben wir das Thema besprochen und ich habe sie gebeten, aus ihrer Sicht einige positive und negative Aspekte aufzuschreiben.IMG_0556Man kann sehen, dass Schüler die im Netz zu findenden Antworten ganz unterschiedlich nutzen. Sie kontrollieren ihre Lösungen mit denen im Netz, nutzen sie als Orientierung oder erschließen sich (hiermit ist das Strukturieren des Inhalts gemeint) das Thema. Einige Schülerantworten waren aber auch geprägt von Pragmatismus, wenn sie sagen, dass dort die Antwort steht und man Zeit bei der Bearbeitung spart (im Sinne von „Abschreiben, fertig!“). Diesen, aus Schülersicht, positiven Aspekten standen auch negative und kritische Aspekte gegenüber. Den Schülern ist sehr wohl bewusst, dass es „Abschreiben ohne Sinn und Verstand“ ist und man es sich „zu leicht macht“. „Mit Lernen hat das Abschreiben wenig zu tun“ und ein kritischer Umgang mit der Lösung fehlt gänzlich. Eine Aussage ist aber jetzt besonders interessant: „Die Qualität der Antwort ist nicht gegeben.“ (Einige) Schüler reflektieren sehr wohl, dass die im Netz zu findenden Antworten nicht immer richtig sind, sogar fehlerhaft und unvollständig.

Auf die Frage, was denn Lehrer nun tun können, wenn alle Antworten im Netz zu finden sind, antworteten sie:

  • neue Arbeitsblätter mit neuen Themen zu entwerfen, für die es noch keine Lösungen gibt
    • durchaus möglich, wenn man bedenkt, was an biologischen Themen aktuell in den Nachrichten vorkommt (z.B. Afrikanische Schweinepest, Plastikmüll im Meer). Aus meiner Sicht sind das aber nicht unbedingt neue Arbeitsblätter, sondern neue Fragen auf aktuelle Probleme. Der Rest findet sich im Netz.
  • die Themen/ Fragen so umformulieren, dass man nicht mehr auf die Lösungen schließen kann
    • sicherlich nicht so einfach, wie sich die Schüler das vorstellen
  • verbieten, das Internet zu nutzen
    • eine naheliegende und sicherlich weitverbreitete Lösung, die aber für mich nicht akzeptabel ist

Wie kann eine mögliche konzeptionelle Gestaltung des Unterrichts aussehen? 

Der Fokus darf nicht auf der Bearbeitung des analogen Arbeitsblattes liegen, sondern in der Vervollständigung, Korrektur, Erweiterung und dem kritischen Umgang mit im Netz vorzufindenden Lösungen.

Meine Schüler begannen, das Arbeitsblatt und die Fragen zu recherchieren und fanden relativ schnell Antworten. Ihnen wurde aber auch bewusst, dass die Antwort alleine keine Lösung darstellt, da ihnen die Grundlagen fehlten, um eine kritische Bewertung vornehmen zu können. Sie kamen zwangsläufig zurück zum Arbeitsblatt, erarbeiteten die fachlichen Aspekte, recherchierten unbekannte Begriffe, strukturierten und organisierten ihr Lernen. Sie merkten richtigerweise an, dass sie erst mal das Arbeitsblatt mit den dortigen Informationen durchgehen müssen, bevor sie überhaupt eine Aussage zu den Lösungen im Netz treffen können. Erst danach widmeten sie sich wieder den Lösungen im Netz und schrieben ihre Anmerkungen bzw. korrigierten und vervollständigten die Posts im Netz, wie z.B. hier oder hier.

Statt das Internet zu verbieten oder Arbeitsblätter umzuschreiben, kann es ein möglicher Ansatz sein, die Antworten aus dem Netz miteinzubeziehen und sie in die didaktische Konzeption der Stunde zu integrieren. Schüler lernen so den kritischen Umgang mit Lösungen aber auch, dass eine Lösung alleine für sich im Netz erst mal nutzlos ist. Des Weiteren lernen sie, dass sie aktiv an sozialen Schülerforen teilnehmen können, aber vor allem mit und in diesen Foren lernen können bzw. anderen beim Lernen zu helfen.

Rückblick:

Eigentlich ist das Arbeitsblatt in ca. 90 Minuten sehr gut zu bearbeiten. Aufgrund der erweiterten Aufgabenstellung dauerte das gesamte Vorhaben etwas mehr als zwei Doppelstunden. Dies merkten einige Schüler kritisch an. Sie sagten aber auch, dass sie viel „drumherum“ (gemeint: Kompetenzbereiche der KMK – s.u.) gelernt haben.

Das Vorhaben an sich wurde von den Schülern positiv bewertet. Sie kannten diese Foren, haben sich aber bislang nicht so intensiv und kritisch damit auseinandergesetzt. Ganz im Gegenteil! Bislang wurden die Lösungen von einigen sehr unkritisch ins Heft übernommen. Die Tatsache, dass die Antworten der Schüler in diesen Foren veröffentlicht wurden, hat dazu geführt, dass sie sich intensiver mit der Thematik beschäftigt haben. Laut eigener Aussage haben sie genauer auf Formulierung, Fachsprache und inhaltliche Aspekte  geachtet.

Mir persönlich ist aufgefallen, dass die Schüler viel häufiger als sonst Fragen stellten bzw. Feedback zu ihren erstellten Texten verlangten. Dies ist sicherlich der Veröffentlichung geschuldet.


Diese Aufgabe trug zur Kompetenzentwicklung im Sinne des Strategiepapiers der KMK „Bildung in der digitalen Welt“ von 2016 bei. Besonders die Kompetenzbereiche „Suchen & Verarbeiten“, „Kommunizieren & Kooperieren“ sowie „Schützen und sicher agieren“ wurden angerissen.

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Ein Gedanke zu “Arbeitsblätter unter den Bedingungen der Digitalität”

  1. Beim letzten Abistreich haben unsere SuS einen Gang mit ihren alten Arbeitsblättern gefüllt, kniehoch waren die, quer durch alle Fächer. Zeugt einerseits vom fehlenden Respekt davor, andererseits von der Unmenge an Arbeitsblättern, die wir verteilen. Insofern versuche ich, noch nicht sehr erfolgreich, mit weniger auszukommen.

    Alle Verbrecher: Ich kenne den Kontext auch nicht, es mag sich auf das Urheberrecht bezogen haben. Selbst da ist das ein hartes Wort, und Verbrecher ist man technisch wohl erst nach einer Verurteilung, aber immerhin ist dann etwas mehr dran.

    >Der Fokus darf nicht auf der Bearbeitung des analogen Arbeitsblattes liegen, sondern in der Vervollständigung, Korrektur, Erweiterung und dem kritischen Umgang mit im Netz vorzufindenden Lösungen.

    Schöne Idee, und ja. Am besten, es gibt bald ganz viel Antworten auf ganz viel Arbeitsblätter, dann muss man ihnen beibringen, die richtigen auszuwählen und sich nicht mit der ersten zu begnügen – ähnlich wie bei Wörterbucharbeit.

    Anschaulicher wäre dein Beitrag übrigens für mich, wenn du das Arbeitsblatt, von dem du sprichst, gleich mit ins Netz stellen würdest. Ich weiß nicht, wie offen und geschlossen die Fragen in anderen Fächern und Bundesländern sind.

    Gefällt 1 Person

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