Erfahrungsbericht: Kollaborative Lernerfolgskontrolle/ Tests*

Genese:

Krommer

Zugegebenermaßen erschien der Tweet von Axel Krommer nach meiner Durchführung der Lernerfolgskontrollen (LEK), spiegelt aber den Kern dieses Vorhabens wider. Mein Unterricht ist u.a. auf Kommunikation und Kooperation ausgelegt – #4k – sodass die Idee entstand, die LEK kollaborativ durchzuführen und somit die Kommunikation unter den Schülern eben nicht zu unterbinden. Es sollte bewusst das Vorgehen aus dem Unterricht auf eine Prüfungssituation übertragen werden.

Ein weiterer Grund für die Durchführung dieses Vorhabens sind meine Out-of-the-box-Erfahrungen. Im letzten Schuljahr habe ich einen Blick über den Tellerrand gewagt. Ich war zusammen mit einer Kollegin in der Villa Wewersbusch und habe unter anderem auch Firmen in Hamburg besucht, um einen aktuellen Einblick in die Arbeitswelt zu bekommen und daraus Anforderungen an eine zeitgemäße Bildung ableiten zu können**. Bei der Firma Mindmatters bin ich auf die Paarprogrammierung gestoßen, die mit dieser Methode an Codes schreiben und arbeiten. Die Programmierer sitzen zu zweit an einem Code (Aufgabe) und erstellen diesen kollaborativ. Der Vorteil dieser Methode ist, dass Fehler im Code früher erkannt werden, zeitfressende Codereviews vermieden werden und der Code früher fertig ist. (Weitere Vor- und Nachteile, von denen sich viele  auf die kollaborative Bearbeitung von LEK in der Schule übertragen lassen, sind hier zu finden)  Am Ende muss bei der Paarprogrammierung ein Produkt (z.B. eine App) stehen. In diesem Entstehungs- und Entwicklungsprozess kommt es darauf an, zu kommunizieren, kritisch zu sein und kollaborativ kreative Lösungen für Probleme zu finden. Die von mir gemachten Erfahrungen beim Besuch verschiedener Firmen teile ich gerne mit meinen Schülern, zeigen ihnen auf, was sie „draußen“ erwartet.

Ablauf:

Im folgenden soll kurz die Methodik der bisher kollaborativ durchgeführten LEK wiedergegeben und (die teils subjektiven) Ergebnisse geschildert werden.

Lernerfolgskontrolle 1

  • Die LEK wurde angekündigt.
  • Der kollaborative Aspekt wurde nicht angekündigt; die Schüler erfuhren vor der LEK davon und lösten die Aufgaben gemeinsam. Kollaborative Vorbereitung (siehe Lernerfolgskontrolle 2) gab es nicht.
  • Die Fragen umfassten Anforderungsbereich II+III.
  • Die Freude auf Seiten der Schüler war groß (sie versprachen sich viel davon).
  • Ergebnis:
    • Das Notenbild glich der Gaußchen Normalverteilung.
    • Einige Schüler gaben an, dass die Zusammenarbeit zu einer besseren Note führte.
    • Schwächere profitierten von besseren Schülern.
    • Schüler, die sich nicht vorbereitet hatten, profitierten von gut vorbereiteten Schülern.
    • Schüler, die sich sehr intensiv vorbereitet hatten, fühlten sich gebremst und gaben an, dass sie „alles“ erklären mussten.
    • Schülerpaare, die zugaben, sich nicht vorbereitet zu haben, waren auch zu zweit nicht besser.
    • Ein Schüler, der sich nicht vorbereitet hatte, gab an, während der Lernerfolgskontrolle etwas gelernt zu haben.
    • Schüler gaben an, dass es für sie eine sehr ungewohnte Situation war, weil sie unsicher im Umgang mit dieser Art der Bearbeitung waren.
    • Für mich ein besonderer Aspekt: Schüler gaben zu, dass sie Bedenken hatten, ihr erarbeitetes Wissen/ erworbene Kompetenzen zu teilen und andere davon profitieren zu lassen. Das Teilen und Arbeiten in diesem Kontext fiel schwer.

Wissen teilen

  • Wir reflektierten die LEK und leiteten Veränderungen für die zweite LEK gemeinsam ein.

 

Fazit von meiner Seite:

  • Kollaborative Lernerfolgskontrollen bedürfen einer kollaborativen Vorbereitung.
  • Kollaboratives Arbeiten in einer Prüfungssituation im schulischen Kontext bedarf einer veränderten Haltung.

Lernerfolgskontrolle 2

Kollaborative Übungsphase:

In der Doppelstunde vor der LEK gab ich den Schülerpaaren folgende Aufgabe: Sie sollten auf farbige Karten („Ampelprinzip“) alles aufschreiben, was sie über das aktuelle Thema wissen, vertiefen möchten oder noch nicht sicher verstanden haben (Think).

  • Rot: Muss ich lernen
  • Gelb: Möchte ich noch vertiefen
  • Grün: Kann ich

Die Karten wurden paarweise besprochen und diskutiert (Pair), wobei Lücken geschlossen und Probleme gelöst wurden. Anschließend wurden die Gruppen erweitert (jeweils drei Schülerpaare) und die Schüler konnten Fragen der anderen einsehen, vertiefende Fragen stellen und evtl. übrig gebliebene rote Karten aufarbeiten (Share). Im weiteren Verlauf erhielten die Schüler Vertiefungsaufgaben, die sie zusammen mit dem Partner in Vorbereitung auf die kollaborative LEK bearbeiten konnten. In allen Phasen stand es den Schülern zusätzlich frei, das „Klassennetzwerk“ zu nutzen und auch andere Schüler zu befragen oder aber aus Sicht derer, die sich gut vorbereitet fühlten, als Experten in andere Gruppen zu gehen.

Lernerfolgskontrolle und Ergebnisse:

Es gab zwei Grafiken zum Thema Neurobiologie, auf denen die Wirkung zweier Gifte dargestellt wurden. Die Schüler mussten nun die Grafik hinsichtlich der Giftwirkung interpretieren, mögliche Konsequenzen für den Organismus ableiten und Ansatzpunkte für ein Gegengift begründet bestimmen.

Noten:

Das Notenbild war deutlich besser (ausschließlich im Bereich von 10-15 Notenpunkte).

Auswertung:

Die guten Noten freuen mich für die Schüler. Was mich aber an dieser Stelle mehr interessiert ist, wie die Schüler die Vorbereitung und die veränderte Prüfungssituation wahrgenommen haben. Nach der LEK habe ich eine Evaluation mit der Feedbackapp Edkimo  durchgeführt (n=22).

 

Frage 1: Ich empfand die Vorbereitung auf die LEK hilfreich?

1_Vorbereitung Test erfolgreich

 

Frage 2: Mein Wissen mit jemandem zu teilen und gemeinsam an einem Produkt zu arbeiten, fällt mir leicht.

2_Wissen teilen Produkt leicht

 

Frage 3: Ich hatte das Gefühl, dass

3_Gefühl dass

 

Frage 4: Welche Aussage trifft zu? (Wir haben uns gegenseitig ergänzt, korrigiert und gemeinsam an der Lösung gearbeitet./ Die Lösung wurde größtenteils von mir erarbeitet.)

4_Welche Aussage trifft eher zu

 

Frage 5: Wir haben fachliche Aspekte diskutiert und uns auf einen Lösungsweg geeinigt.

5_fachlich diskutiert

 

Frage 6: Ich konnte mit Kritik/ Einwänden an meinen Lösungsvorschlägen umgehen.

6_Kritik umgehen

 

Frage 7: Mein Partner konnte nicht mit meiner Kritik/ meinen Einwänden an seinen Lösungswegen umgehen.

7_Kritik an seinen Lösungen

 

Frage 8: Ich bin der Meinung, dass meine Note aufgrund der Kollaboration im Vergleich zu einem Individualtest besser ist.

11_kollaboration besser

 

Frage 9: Ich würde Lernerfolgskontrollen lieber wieder alleine schreiben.

8_Alleine schreiben

Frage 10: Wer (Name des Schülers) hat sich im Vorfeld der LEK besonders für ein gemeinsames Ziel engagiert?

 

Diskussion:

Grundsätzlich wurde die Vorbereitung auf die LEK mit dem Fokus auf Kollaboration als sinnvoll erachtet (Frage 1). In diesem Kontext veränderte sich auch die Haltung der Schüler im Bezug auf die Kooperation (Frage 2). Gefühlt war diese Tendenz im Vergleich zur ersten LEK nicht so positiv. 14 Schüler gaben an, sich auf Augenhöhe mit dem Partnern gesehen zu haben. Ein möglicher Grund war sicherlich die Übungsphase. Eine Schülerin entgegnete, dass sie sich mitverantwortlich für ihren Partner fühlte und aus diesem Grund mehr gelernt habe (Frage 3). Frage 4 zeigt, dass die Schüler kollaborierten. Lediglich zwei Schüler gaben an, dass die Lösung größtenteils von ihnen selbst erarbeitet wurde (sicherlich bedingt durch fachliche Defizite des Partners). Hier sieht man deutlich eine Schwäche dieser LEK, da die Individualleistung nicht feststellbar ist. Frage 5, 6 und 7 zielten darauf ab, mögliche Spannungen in der Zusammenarbeit festzustellen. Grundsätzlich ist dieses Ergebnis positiv, zeigt aber auch, dass Kritik/ Einwände und das Einigen auf einen Lösungsweg nicht zu 100% gelingen. Schüler entgegneten im Anschluss auch, dass man den Umgang damit lernen müsse. Kritik und Einwände müssen als Ressource gesehen werden und sollten nicht auf die persönliche Ebene gelangen. Das fällt Schülern (noch) schwer. Frage 8 lässt erkennen, dass die Schüler aufgrund der Kollaboration eine bessere Note erwarteten.

Der Vorteil einer Zusammenarbeit im Sinne von „gemeinsam denken“ und an einer „Sache arbeiten“ dürfte den meisten Schülern klar geworden sein. Dass vier Schüler die LEK lieber wieder alleine schreiben würden, verwunderte mich (Frage 9). Die Gründe dafür können mannigfaltig sein (Introvertiertheit, Unzufriedenheit mit dem Partner, Schwächen bei der Kollaboration, fachliche Defizite, etc.).

In der letzten Frage bat ich die Schüler, diejenigen zu nennen, die sich im Vorfeld (Übungsphase) besonders für ihren Partner oder die Klasse eingesetzt haben (im Sinne der Wertschätzung). Es wurde vereinzelt der Teampartner genannt, aber auch ein Schüler, der sich im Klassennetzwerk in Vorbereitung auf die LEK besonders engagiert hatte.

Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Ergebnisse der Evaluation den Schülern nach der Durchführung gezeigt und diskutiert wurden. Aussagen von einigen Schülern finden sich schon in der Diskussion wieder, weshalb  hier nicht näher darauf eingegangen werden soll.

Die Schüler empfanden die Art und Weise der LEK gut und sinnvoll und es wird weitere in diesem Format geben. Im Sinne der Partizipation und Mitgestaltung haben die Schüler folgende Anmerkungen zur weiteren Gestaltung gemacht, die ich zukünftig gerne einbeziehe:

  • „Nächstes Mal sollten die Partner eventuell gelost werden. Dann ist es 100% gerecht!“
  • „Zu zweit braucht man viel länger, da man vorher noch über eine Lösung diskutiert und wie man die Antwort formulieren kann. Bitte mehr Zeit.“

 

 

Nachtrag:

Manfred Schulz, Fachreferent Medien in der BSB Hamburg, merkte an:

„Kollaborative Tests sind nur dann sinnvoll, wenn damit Rückmeldungen zum Stand der kollaborativen Kompetenzen gemacht werden können.

Die „Kollaborateure“ müssen also mit diesem Test erfahren können, inwieweit ihre kollaborativen Kompetenzen entwickelt sind und woran sie hier noch „arbeiten“ müssen.“

Grundsätzlich teile ich seine Meinung. Ein kollaborativer Test sollte auch Rückmeldung über selbige Kompetenzentwicklung ermöglichen. Ich möchte aber auch die Frage nach dem Vorgehen stellen. In dem geschilderten Setting habe ich nicht die Möglichkeit, jedem Gespräch beizuwohnen. Somit entfällt die Rückmeldung und Bewertung meinerseits. Sehe ich das in einer gewissen Bedingung für die LEK, dann darf diese – wenn ich das Setting nicht ändere –  nicht mehr stattfinden und ich gehe wieder über zum Individualtest.

  1. Wie kann das Setting geändert werden? Muss das Setting geändert werden? Reichen die Beobachtungen im Unterricht nicht aus, um daraus Rückmeldungen zu den entwickelten Kompetenzen zu geben, sodass in der LEK der Fokus auf andere Kompetenzen gelegt werden kann?
  2. Reicht die abschließende Reflexionsphase mit den Schülern und die Besprechung der Ergebnisse der Evaluation aus, sodass sie ihren Kompetenzzuwachs einschätzen können? (These: Mitnichten! Einige werden in der Lage sein, die LEK und sich selbst in der Phase der Kollaboration reflexiv zu betrachten und daraus Schlüsse zu ziehen – andere nicht! Einige werden sich die Rückmeldungen der Partner zu Herzen nehmen und daraus lernen. Andere nicht! )

Ich finde die Frage durchaus spannend und würde mich über eine lebhafte Diskussion freuen.

 

Abschließen möchte ich mit dem Satz:

Schülerinnen und Schüler sind außerdem positiver gegenüber Schule, Schulfächern, Lehrenden und ihren Mitlesenden eingestellt, wenn sie kooperativ lernen (Faden, Bialik, Trilling 2015, S.140).

Meiner Einschätzung nach sind die Schüler die Vorbereitung als auch die eigentliche LEK mit einer positiveren Grundeinstellung angegangen als dass bei einer normalen LEK der Fall ist. Auch die Tatsache, dass wir im Kurs eine weitere LEK in dieser Form andenken, spricht für diese positive Einstellung.

 


* Kompetenznachweis wäre aus meiner Sicht der bessere Begriff. Aufgrund der weiteren Verbreitung der Begriffe Lernerfolgskontrolle/ Tests habe ich mich dafür entschieden.

**Im Sinne einer zeitgemäßen Bildung halte ich es auch für wichtig, Firmen zu besuchen, um einen Einblick in die Arbeitswelt und Arbeitsweisen zu bekommen. Dazu werde ich mich in einem späteren Blog ausführlich äußern.



Literaturhinweis: Fadel, Charles/ Bialik, Maya/ Trilling, Bernie (2015): Die vier Dimensionen der Bildung: Gesamtherstellung 2017, Verlag ZLL21 e.V., Hamburg.

6 Gedanken zu „Erfahrungsbericht: Kollaborative Lernerfolgskontrolle/ Tests*“

  1. Der Test ist beeindruckend. Die Rückmeldung durch die Schüler zeigt, dass diese Form überwiegend gut angenommen wird, aber eben auch nicht DIE Lösung schlechthin ist. Ich würde gern wissen, inwieweit du diese Vorgehensweise zeitlich geplant hast. Ich könnte mir eine Umsetzung nicht vorstellen – Genehmigung durch die Fach- und Gesamtkonferenz sehe ich hier bei mir als schwierig, wenn nicht gar unmöglich an. Welche bürokratischen Hürden musstest du überwinden?

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    1. Liebe Ines,
      vielen Dank für deinen Kommentar. Vielleicht sollte ich noch zur Erklärung sagen, dass es sich nicht um eine Klassenarbeit gehandelt hat, sondern um einen Test, der Teil einer mündlichen Note ist. Ich habe in dem Fall auch nicht gefragt, sondern einfach probiert! Eine KA hätte ich so ohne vorherigen Absprachen nicht schreiben lassen können.
      Und du hast recht: DIE Lösung ist es nicht, aber eine, die man temporär andenken kann.

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  2. Mit großem Interesse gelesen. Ich nehme an, Form und Schwierigkeit waren bei beiden Aufgaben vergleichbar? Ich habe nur zur zweiten etwas gefunden, das mit den Grafiken zur Neurobiologie. – In Bayern wäre die Umsetzung kein Problem, da gibt es strenge Regeln für große Leistungserhebungen, aber wie man kleine Leistungserhebungen durchführt, da hat man theoretisch Spielraum, und praktisch noch mehr.
    Ich bin schon froh um diese Auswertung, wünsche mir aber noch mehr: Welche Schüler und Schülerinnen sind es, die das gerne so wiederholen würde, welche nicht? Die guten, schlechten, lauten, stillen?

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    1. Lieber Thomas,
      vielen Dank für deinen Kommentar. Ja, die Auswertung hat an dem Punkt Schwächen. Danke für den Tipp. Wir haben noch eine dritte LEK geplant. Ich packe deine Anmerkung mit in die Evaluation rein. Ich muss dann wohl umsteigen auf SurveyMonkey o.ä., da es etwas komplizierter wird, aber das ist es wert!

      Schönen Sonntag dir
      Thorsten

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